Dienstag, 20. Dezember 2011

Heinrich Böll

19. Dezember 2011
Wird jetzt von "Bild" verscherbelt

Irgendwann verscherbeln sie auch noch "Der Aufmacher - Der Mann, der bei Bild Hans Esser war". Diesen Bestseller schrieb Günter Wallraff 1977. Er hatte sich in die hannoversche Redaktion dieses Boulevardblattes geschmuggelt und deckte auf, wie diese Zeitung auf Tatsachen pfiff. Das klang dem Chefredakteur neun Jahre später noch so sehr in den Ohren, dass er mich bei einem Redaktionsbesuch auf einen Platz hinwies: "Dort hat Wallraff gesessen."


Jetzt aber erst einmal Heinrich Böll. In der heutigen Ausgabe macht "Bild" Werbung für eine Nobelpreis-Bibliothek aus 20 Werken, zu der auch "Gruppenbild mit Dame" gehört. Das Böll-Porträt zeichnet Körzdörfer, der so aussieht wie jemand aus einer Drückerkolonne nach erfolgreicher Abzocke eines Rentnerehepaares. "Böll hat Bild nicht geliebt", lautet sein erster Satz.

In einer Zeitung, die sonst zu Übertreibungen neigt, klingt diese Anmerkung lächerlich. Denn: Böll hat "Bild" verachtet. Die Gründe führen zurück in die 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, als Andreas Baader und Ulrike Meinhof Mord und Totschlag mit Befreiungspolitik verwechselten.

Damals titelte "Bild" drauflos. Deswegen schrieb Heinrich Böll einen Aufsatz für den "Spiegel", der in der Ausgabe 3/1972 erschien. Da war er noch nicht Literaturnobelpreisträger, aber schon "Gewissen der Nation", das auch bei Baader und Meinhof auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze pochte. Schon begann die "Bild"-Hetze, von der Körzdörfer heute so ablenkt: "Aber die deutsche Polizei klopfte auch an seiner Wohnungstür - Durchsuchungsaktion nach RAF-Terroristen (nach einem Spiegel-Artikel galt er als Sympathisant)."

Was sonst noch hätte geschehen können, beschrieb Heinrich Böll 1974 in seiner Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Eine Frau, die alle für eine "Heilige" halten, verliebt sich bei einer Party in einen Mann, verbringt mit ihm die Nacht. Was sie nicht weiß: Dieser Mann ist ein Terrorverdächtiger. Kaum ist er wieder verschwunden, taucht ein schmieriger "Bild"-Reporter auf. Der nimmt auf nichts Rücksicht.

Diese Erzählung wird die erfolgreichste von Heinrich Böll (6 Millionen verkaufte Exemplare). Das hat "Bild" wehgetan wie drei Jahre später "Der Aufmacher" von Günter Wallraff.

Ulrike Meinhof sucht auch in Wilhelmshaven vorübergehend Unterschlupf, ihre Flucht endet im Juni 1972 bei Hannover, sie erhängt sich am 9. Mai 1976 in ihrer Zelle.

In jenen Jahren mache ich in Wilhelmshaven Abitur. Im Deutschunterricht analysieren wir Medien, dazu gehören auch die Zeitschrift "konkret", bei der Ulrike Meinhof gearbeitet hat, und das "Neue Deutschland". Kaum habe ich diese Zeitschrift und dieses SED-Organ am Bahnhofskiosk bestellt, macht sich der Verfassungsschutz auf den Weg zu meinem Elternhaus. Als ich dort ankomme, haben sie mein Zimmer bereits durchsucht.

1978 hält in Hannover ein Polizeibeamter ein Maschinengewehr ins Wageninnere, fordert mich zum Aussteigen auf. Ich habe Angst vor jeder falschen Bewegung.

Heinrich Bölls Kampf für den Rechtsstaat war scheinbar verloren, erfolgreicher schien "Bild" mit ihrem Kampf für den rechten Staat zu sein. Aber: Böll bekam den Literatur-, Willy Brandt als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler den Friedensnobelpreis.

Dienstag, 15. November 2011

In Quickborn gestorben

15. November 2011
"Väterchen Franz" ist tot

Franz Josef Degenhardt, Rechtsanwalt, Schriftsteller, Liedermacher ist am Montag in Quickborn gestorben. Wurde gestern sogar in den Fernsehnachrichten gemeldet. Wenn also ein Linker tot ist, wird er nicht mehr vom Verfassungsschutrz beobachtet, er schafft es sogar nach langer Zeit wieder in die Medien, die offenbar nur ein Lied des mit 79 Jahren Gestorbenen kennen. Die "Schmuddelkinder"...

Kurz angespielt worden ist im "heute-journal" immerhin auch noch "Lied für die ich es sing..." Aus dem Tonfetzen hörte man die Wörter "Cannabis" und "roter Wein" heraus. Als sei "Väterchen Franz" ein Propagandist für Drogen gewesen. Dann hätte man auch noch verstehen können, warum seine Lieder im Radio lange Zeit nicht gespielt werden durften. Doch dafür gab es einen anderen Grund. Degenhardt war aus der SPD ausgeschlossen worden, in die DKP eingetreten.

Seinerzeit sind 6 Prozent der Beamten NPD-Mitglieder gewesen, ein Kommunist durfte nicht einmal Postbote werden. Diese Berufsverbote aus dem Jahre 1972  hat Willy Brandt später in einem Akt der Selbsterkenntnis als Irrtum bezeichnet.

Besuchte man damals Konzerte von Degenhardt, saß man mit Verfassunggsschützern in einem Saal. Die haben Texte von Liedern mitgeschrieben, die inzwischen in Vergessenheit geraten sind. Dann rutschte dieser Liedermacher ab ins Fach "Agitation und Propaganda". Was er sang, wurde so unerträglich wie die Hysterie wegen einer Splitterpartei, die bei Wahlen 0,3 Prozent der Stimmen bekam, während die NPD in Landtage einzog.

Vor 25 Jahren traute man seinen Ohren nicht mehr. Franz Josef Degenhardt wurde im Radio gespielt. 1986 hatte "Väterchen Franz" junge Paare auf Bänke gesetzt, er stürmte die deutschen Hitparaden und setzte so das Sendeverbot außer Kraft. Sogar Verfassungsschützer sollen mitgesummt haben.

Auch heute noch ist der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blinder als auf dem linken. Beweisen auf erschreckende Weise die jüngsten Ereignisse.

Freitag, 2. September 2011

Messeparkplatz Ost 14

2. September 2011
Im Autokino wippen die Enten

"Wo jahrelang das "Autokino Hannover-Messe" stand, wird es wieder stehen. Vom 2. bis 4. September ist der Messeparkplatz Ost 14 Treffpunkt für Autokinofans aus der ganzen Region. Die Veranstaltungs- und Kommunikationsagentur "events hoch zwo" präsentiert DAS Ereignis für alle, die zwei Hobbies miteinander verbinden wollen: Auto und Kino, 3 Tage lang. Kassenschlager und Klassiker. Pommes und Popcorn. Bier und Burger. Hannover freut sich. Der Kult Autokino kommt zurück."


Steht im Internet. In den Sechzigern und Siebzigern hat dort aber noch mehr gestanden. Und nicht nur in einer Ente, deren Gardinen von einem Pärchen zugezogen wurden. Die wippten dann im Takt. Auch meine Freundin und ich hätten damals jede Aussage verweigern müssen, wenn man uns gefragt hätte, worum es in dem Film gegangen war, der über die überhaupt nicht beachtete Leinwand geflimmert war.

Zu einem Hannover-Besuch (es war mein erster und nicht nur deshalb unvergesslicher) gehörte einfach: "Am Samstag vögeln wir im Autokino auf der Messe." Popcorn gab es damals auch schon. Aber zum Essen kam man einfach nicht. Auch an Bier war nicht zu denken. Das hatte also nach eineinhalb Stunden nicht so schön geprickelt in ihrem Bauchnabel.

Deswegen sind seinerzeit wohl auch die Autokinos pleite gegangen. Die Eintrittsgelder reichten einfach nicht für die Finanzierung. Und zugezogene Gardinen bedeuteten: "Speisen und Getränke? Nein, danke!"

Dass alle wussten, was das Personal bei einem Auto-Kinobesuch zu beachten hatte, machte den Abend noch spannender. Da meiner Freundin damals aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen das T-Shirt abhanden gekommen war, hatte auch die Rückfahrt etwas Spannendes. Aber das ist eine andere Geschichte, die aber nie in einem Unfallbericht der Polizei gestanden hat.

Ob wir seinerzeit zwei Hobbies frönten, als wir taten, was wir mit großer Freude taten, sei dahingestellt.

Also: Viel Spaß bei diesem Kino-Ereignis! Gezeigt wird u. a. Harry Potter. Kennt jeder. Wenn also die Eltern fragen, was man gesehen hat, kann man die Handlung wiedergeben, ohne sie am 2., 3. oder 4. September verfolgt zu haben. Gibt es in den Autos von heute eigentlich noch Gardinen?

Donnerstag, 26. Mai 2011

Anti-Atom 2011

26. Mai 2011
Wir hatten eine strahlende Zukunft

Hannover, Ostermarsch 1983: Ich stehe als erster Redner auf der Bühne, die Menschenmassen strömen aus drei Richtungen auf den Maschsee zu. 40 000 hören meine fiktive Reportage "Frieden ist der Ernstfall", immer wieder brandet Beifall auf, weil den 40 000 der Gedanke gefällt, dass die Bundesrepublik Deutschland und die DDR bis 1990 (!) das Kriegsbeil begraben wollen.


Meine Reportage endet mit einem Auszug aus einer Rede des ehemaligen Verteidigungsministers Hans Apel aus dem Jahre 1981: "Es gibt gegenwärtig mindestens eine halbe Milliarde Menschen, die im Wortsinn hungern. Zugleich werden in dieser Welt jährlich mindestens 500 Milliarden Dollar...für Rüstung ausgegeben. Das ist Wahnsinn. Und der Wahnsinn steigert sich noch mehr, wenn man bedenkt, dass schon heute 20 000 Nuklearsprengköpfe exisitieren, von denen jeder die vielfache Sprengkraft der Atombombe von Hiroshima besitzt..."

Damals haben wir noch täglich Angst gehabt vor dem atomaren Knall. Wir diskutierten über die Erziehung von Kindern, die wir nicht in diese Welt setzen wollten. Weil wir unseren Kindern unsere Angst nicht zumuten wollten.

Die politischen Wellen schlugen hoch in jenen Jahren. Bauern am Kaiserstuhl wollten keinen Atommeiler, sie bauten ein Hüttendorf. Dann wurde Brokdorf an der Unterelbe zum Symbol für Anti-Atom. Der Bauplatz für den Atommeiler wurde bereits am 26. Oktober 1976 vor der Erteilung der ersten Baugenehmigung abgesperrt. Dennoch besetzten am 30. Oktober 1976 10 000 Demonstranten den Bauplatz.

Millionen gingen damals auf die Straße, wir wollten diese Technologie nicht, weil wir sie für nicht beherrschbar hielten. Man lachte uns aus, verleumdete uns, ließ uns beobachten. Wie wir ausgelacht wurden für das Motto "Jute statt Plastik". Da aber unsere Frauen schöne Brüste hatten, dachten wir auch nicht an Silikon. Wir wollten nichts Künstliches, nichts, was Mutter Natur wütend machen musste. Wir waren auch so schon die Generation, vor der uns unsere Eltern immer gewarnt hatten.

Kam uns jemand krumm, dachten wir uns spontane Sprüche aus. Emanzen versicherten wir, dass wir gar nichts gegen Frauenbewegungen hätten. Nur schön rhythmisch müssten die sein. Doch die andere Seite hatte keinen Humor. Und einige hatten Knüppel und Wasserwerfer. Die Hüter des Gesetzes brachen Gesetze. Kamen daher als Politiker, die sich nicht an Vorschriften hielten. Die Polizeibeamte nach vorn schickten, damit sie ihre Deckung nicht verlassen mussten.

1979 hatten sie locker weggesteckt. Harrisburg war weit weg. Atomstrom galt weiter als sauber. Zumindest in Deutschland. Radioaktivität kannte dem Vernehmen nach Grenzen. Und wir vernahmen seltsame Meldungen der Medien. Nach einer Demonstration mit 40 000 Menschen erfuhren wir: Demonstriert hatten 20 000. In den Abendnachrichten waren es noch 13 000. So ließen sie uns verschwinden. Wir störten doch nur. Auch die Grünen, die inzwischen parlamentarisch geworden waren, wollten nicht mehr täglich an ihren Ursprung erinnert werden. Sie erfanden Rituale. Das bekannteste Ritual sind ab 1995 Demonstrationen gegen Castor-Transporte nach Gorleben geworden...


Dann kam die Radioaktivität doch. 1986 aus Tschernobyl. Doch die deutschen Atomkraftwerke waren sicherer denn je. Darüber sollten wir uns keine Sorgen machen - und das Gemüse aus dem Garten zweimal waschen, war nun wirklich nicht zu viel verlangt. Oder hatten wir schon wieder etwas zu meckern?

Während sie handelten - und die Stiftung für Kinder aus Tschernobyl aus dem Boden stampften. Für die war in Niedersachsen eine Zeitlang Hiltrud Schröder zuständig. Sie hielt eindringliche Vorträge, schilderte ohne Rührseligkeit, was sie bei ihren Reisen gesehen hatte. Was nicht mehr zu ändern war, war nun nicht mehr zu ändern. Für wahrscheinlich noch 150 Jahre oder mehr.

Vielleicht suchen sie in Deutschland auch so lange nach einem Endlager für Atommüll. Oder lagern das Zeug wirklich überirdisch, bis aus Atommüll eine neue Energiequelle wird. Was stark strahlt, muss nur mit Neutronen beschossen werden.

Aber: Manche Atomkraftwerke sind einfach nicht geduldig genug. Die warten nicht, bis man den Müll wegbringen und unschädlich machen kann. Die fliegen ungefragt in die Luft.

Und schon ist heiße Luft, was eine Bundesregierung beschlossen hat. Nach Japan, sagen sie, kann man nicht einfach wieder zur Tagesordnung zurückkehren. Das Argument, wenn andere Atomkraftwerke haben, müssen wir auch welche haben, soll nun doch schneller zu den Akten gelegt werden als noch vor wenigen Monaten gedacht.

Dafür gehen wieder Menschen auf die Straße. Es sind längst nicht mehr so viele wie damals. Denn: Plötzlich sind alle grün. Sie übertreffen sich nur noch bei ihren Zeitplänen. Sofort aussteigen. In sechs bis sieben Jahren aussteigen. Bis 2022 aussteigen.

Wie schnell sie die Geister, die sie gerufen haben, wieder los werden? Sofort ganz sicher nicht. Aber immerhin: Willy Brandt ist vor 50 Jahren noch ausgelacht worden, als er sagte, der Himmel über Rhein und Ruhr müsse wieder blau werden. Heute lacht niemand mehr.

Gestern sagte ein Jugendrichter bei einer Fernsehdiskussion: "Ich bin mit ´Petting statt Pershing´ aufgewachsen." Da ahnten wir noch nicht: Wir hatten fürwahr eine strahlende Zukunft...