Samstag, 22. Dezember 2012

Der Wassermann

Wieder beginnt ein neues besseres Zeitalter

"Hair erzählt die Geschichte einer Gruppe gegen das Establishment eingestellter langhaariger (daher der Name des Musicals) Hippies, die in der Stadt New York unter dem Vorzeichen des "Zeitalters des Wassermanns" leben und lieben und sich gegen die Einberufung als Soldaten für den Vietnamkrieg auflehnen. Der frisch vom Land hinzugestoßene Claude Hooper Bukowski, die junge Frau Sheila und ihr charismatischer Zimmergenosse Berger leben in einer Dreiecksbeziehung lustvoll aber ziellos in den Tag hinein. Claude gerät, hin und her gerissen zwischen den patriotischen Impulsen seiner bürgerlichen Herkunft und den im Kreise seiner neuen Freunde erstarkten pazifistischen Idealen, in einen inneren Konflikt, denn mit Eintreffen der Einberufung muss er sich entscheiden, ob er wie die anderen den Kriegsdienst verweigern (und damit eine drohende Gefängnisstrafe und gesellschaftliche Ächtung in Kauf nehmen) oder seine pazifistischen Ideale missachtend, sich der militärischen Autorität unterwerfen, Menschen töten und sein Leben in Vietnam riskieren soll."

Wikipedia

Der Wassermann war 1968. Auch damals begann angeblich ein neues Zeitalter, dazu selbstverständlich auch ein besseres, in dem Regierungen nicht mehr die Ermordung von Menschen befehlen können, mit denen wir noch nie ein Wort gesprochen und die einem persönlich auch nichts getan haben, während die Ermordung von Menschen, mit denen wir so manches Wort gesprochen und die uns persönlich auch etwas getan haben, verboten ist. Irgendwann ist das Gebot "Du sollst nicht töten" von "Verteidigungs"ministern und Generälen geteilt worden und gilt seither nur noch für Zivilisten. Pfaffen, die sonntags dieses Gebot predigten, segneten montags Waffen und wurden deshalb von vielen nicht mehr ernst genommen. Hat man einen Arbeitgeber, der nie mit einem spricht, kann man schon psychisch so krank werden, dass man als Geistlicher Krieg für etwas Gutes hält und glatt vergisst, was der Arbeitgeber davon hält. Dessen Geburt feiern wir übrigens übermorgen.

Seit 1968 hat sich viel verändert, manches ist sogar besser geworden. Das soll nun noch besser werden. Glauben jedenfalls die Mayas, die gestern den Beginn eines weiteren neuen Zeitalters gefeiert haben. Auch dieses Zeitalter soll friedlich werden. Die Hoffnung stirbt eben zuletzt - und vielleicht gibt es tatsächlich irgendwann keine Kriegsminister mehr.


Sonntag, 9. Dezember 2012

Peer Steinbrück

Schlägt großen Bogen auf Nominierungsparteitag

In seiner mit Spannung erwarteten Rede hat heute der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in Hannover einen großen Bogen geschlagen. Der 65-Jährige erinnerte an die Verfolgung im Kaiserreich und während des Hitler-Faschismus, er streifte die Verleumdungskampagnen gegen Willy Brandt und zitierte Otto Wels, der am 23. März 1933 in der Berliner Krolloper eine Rede gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz hielt: "Freiheit und das Leben kann man uns nehmen, die Ehre aber nicht." Wegen Brandt sei er in die SPD eingetreten, sagte Steinbrück. Dieser Bundeskanzler wollte "mehr Freiheit wagen" und die Schule zur "Schule der Nation" machen. Willy Brandt schlug Schneisen in die Front der kalten Krieger - und war so Wegbereiter der deutschen Einheit, dem man einen Spion auf den Hals schickte.

Die von Willy Brandt geführte sozialliberale Regierung war sicherlich die erfolgreichste in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, wenn man die Ergebnisse auf die eine und den Widerstand konservativer und reaktionärer Kreise auf die andere Waagschale legt. Die junge Republik erwachte in jenen Jahren aus einem Dornröschenschlaf und rieb sich die Augen, weil man sie eingemauert hatte. Als Willy Brandt 1970 nach Erfurt fuhr, musste sich die DDR-Führung eines propagandistischen Tricks bedienen, damit zumindest für die Funktionäre nicht offenbar wurde, was allen klar war: Dieser Bundeskanzler hätte auch jenseits der Elbe die Wahl gewonnen. Kein Bundeskanzler holte für die SPD ein solches Wahlergebnis wie Brandt 1972. Bei einer Wahlbeteiligung von 91,1 Prozent bekam die SPD 45,8 Prozent der Stimmen.

Gelehrt hat uns die Geschichte damals: Gegen gesellschaftliche Strömungen kommt auch die Springer-Presse nicht an. Doch Willy Brandt hat auch verheerende Fehler gemacht. Zu seiner Zeit als Bundeskanzler wurde der "Radikalenerlass" eingeführt, mit dem so genannten "Verfassungsfeinden" der Weg in den öffentlichen Dienst versperrt wurde. Entsetzt musste Brandt feststellen, dass mit Gesinnungsschnüffelei das gesellschaftliche Klima vergiftet wurde. Bekannt ist heute auch: Kommunisten und alle, die dafür gehalten wurden, mussten draußen bleiben, Neofaschisten lachten sich ins Fäustchen.

Ein NPD-Verbot ist nicht genug, um die "braune Soße" einzudämmen, hat Peer Steinbrück heute in Hannover gesagt. Dennoch soll auch die Bundesregierung beim zweiten Versuch mitmachen. Die Extremismus-Klausel, die Gleichsetzung von rechter und linker Gewalt will der SPD-Kanzlerkandidat über Bord werfen. Vielleicht sollte Steinbrück auch noch den nächsten Schritt wagen: Gewalt muss geächtet werden. Die Bundesrepublik Deutschland braucht eine neue Aufbruchstimmung. Die schafft man nicht mit Worthülsen, die schafft man auch nicht mit einem Griff in die SPD-Geschichtskiste. Die schafft man nur mit einem Gegenmodell, mit einem schlüssigen Gesamtkonzept - und nicht mit Ankündigungen, aus denen nichts werden kann. Das Sozial- und das Bildungssystem werden immer maroder. Auf dieses wackelige Gerüst sollte Steinbrück nicht noch etwas drauf packen, sondern die Fundamente stärken. Aus Denken muss Um-Denken werden. Dabei konkurriert die SPD mit einer CDU, die immer sozialdemokratischer wird - jedenfalls scheinbar. Wenn aber Angela Merkel schon so weit ist, sollte Peer Steinbrück noch einen Schritt weiter gehen. Dabei steht er sich selbst aber im Weg. Ein zweiter Willy Brandt wird aus dem nicht - oder kann sich jemand Brandt als Vortragsabkassierer vorstellen?

P. S. Peer Steinbrück bekam 93,45 Prozent der Stimmen

Montag, 17. September 2012

Der Streisand-Effekt

Englisches Königshaus vergisst: Kate oben ohne besser als mit Anwalt

Auch ich habe schon einmal Ärger wegen eines Oben-ohne-Fotos bekommen. Der begann und endete mit einem Brief eines Anwaltes aus Hannover, der mir am 18. August 2010 im Namen einer Malerin eine Abmahnung schickte: “Durch einen Hinweis hat meine Mandantin Kenntnis davon erhalten, dass Sie für das von Ihnen 2007 veröffentlichte Buch mit dem Titel “Blumen im Haar – Philishave am Kinn – Polizeiknüppel im Nacken” auf dem Cover ein vor ca. 30 Jahren aufgenommenes Foto meiner Mandantin verwenden, auf dem sie nackt, nur mit einer Bikinihose bekleidet, in Großaufnahme am Strand zu sehen ist.”

Der Streisand-Effekt

Freitag, 20. Juli 2012

Legalize Kamillentee




Wohnanlage auf "Uschi-Obermaier-Hügel"

Auch die 68er werden 70: Deswegen gibt es jetzt die erste Alt-Hippie-Anlage. Ratgeber-Autor Heinz-Peter Tjaden hat sie besucht. Sein Bericht:
Die Wohnanlage “Legalize Kamillentee” liegt auf einer sanften Anhöhe, dem so genannten “Uschi-Obermaier-Hügel” mit einer meterhohen Hanfpflanze als wichtigstes Wahrzeichen. Die Lehmhütten sind zum Hof hin offen. Geschwungene Wege führen zur Martin-Luther-is-the-King-Church und zum “Sacco-und-Vanzetti-hätten-niemals-hingerichtet-werden-dürfen”-Mahnmal.
Der Bericht

Mittwoch, 7. März 2012

Roter Punkt

Den gibt es wieder in Hannover

Morgen stehen Busse und Bahnen in Hannover still. Der Grund ist ein Streik, der während der CeBIT stattfindet. Wie kommt man morgen zum Messegelände? Mit einem Roten Punkt, den Messegäste am Straßenrand stehend in der Hand halten und den Autofahrerinnen und Autofahrer hinter die Windschutzscheibe legen. Herunterladen kann man sich den Roten Punkt auf den CeBIT-Internetseiten. Als Zeichen der Gastfreundschaft.

Im Juni 1969 dagegen ist der Rote Punkt in Hannover Zeichen des Protestes gewesen. Die Menschen gingen gegen Preiserhöhungen der Üstra auf die Straße, boten Mitfahrgelegenheiten in ihren Autos an. Je länger die Demonstrationen dauerten, desto massiver wurde das Vorgehen der Polizei. Sogar 13-Jährige steckte man ins Gefängnis. Der Polizeipräsident sagte zu einem Kabarettisten aus Hannover: "Vor Jahren waren Sie noch ein Mensch, jetzt sind Sie nur noch Demonstrant."

Doch schon nach kurzer Zeit machte halb Hannover mit, am 18. Juni 1969 wurde die Aktion von den Initiatoren für beendet erklärt, die Preiserhöhung um 33 Prozent zurück genommen. Die Üstra, bis dahin ein privater Verkehrsbetrieb, ging in kommunalen Besitz über.

Dienstag, 24. Januar 2012

2. Juni 1967

24. Januar 2012
Ein Mord in Berlin

Die West-Berliner Polizei hat offenbar die Hintergründe des tödlichen Schusses auf den Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien am 2. Juni 1967 vertuscht. Damit wurde der Kriminalbeamte Karl-Heinz Kurras, der Ohnesorg erschossen hatte, geschützt. Neue Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und Recherchen des SPIEGEL haben ergeben, dass Kurras den Schuss offensichtlich unbedrängt aus nächster Nähe und umgeben von mehreren Polizisten abgegeben hat.

Spiegel, 23. Januar 2012

Kurras, der heute 84 Jahre alt ist und auf seine herrisch-verstockte Art über die Tat nicht mehr reden möchte, galt schnell als Paradetyp des autoritären deutschen Polizisten. Er war Ordnungsfanatiker, Waffennarr, neigte zu Gewalt: der typische deutsche Untertan, wie ihn Heinrich Mann und andere gezeichnet hatten.

Die Welt, 24. Januar 2012

Und jetzt erzählt die Springer-Presse die Geschichte der Studentenbewegung neu, nennt Karl-Heinz Kurras einen Mörder, der allerdings zweimal freigesprochen worden ist. Laut "Welt" ist dieser Mord nicht die Initialzündung für die damalige "Revolte" gewesen. Mit der sich seinerzeit "Bild" überhaupt nicht anfreunden konnte. Was heute irgendwie nicht mehr stimmen soll. Die Hetze soll relativiert werden. Bleibt aber wahr.

Zeitungen wie das im Axel-Springer-Verlag erscheinende Boulevard-Blatt "Bild" hetzten massiv gegen die Vertreter der 68er-Bewegung und bezeichneten sie öffentlich als "ungepflegte Politgammler" und "Krawallköpfe", gegen die man "gewaltsam" vorgehen müsse. Man verurteilte die Anhänger der Studentenvereinigungen generell, radikal und gewaltbereit zu sein und forderte die Bevölkerung dazu auf, die "Störenfriede" zu bekämpfen.

Helles Köpfchen

Dem hält Dr. Mathias Döpfner als Vorstandsvorsitzender des Springer-Verlages entgegen:

Manche Klischees in den Köpfen erweisen sich auch als Endmoränen einer bis heute wirkungsvollen SED-Propaganda und Stasi-Desinformation.

MedienArchiv 68 

Wer damals als friedlicher Demonstrant beschimpft worden ist, hat sich das nur von der Stasi einreden lassen? Der war damals SED-beeinflusst, wenn ihm missfiel, dass die Springer-Presse über den späteren Bundeskanzler Willy Brandt  herzog und beispielsweise die Frage stellte, wie dieser Sozialdemokrat politisch führen wolle, wenn er sogar schon bei der Erziehung eines seiner Söhne versagt habe?

Als Benno Ohnesorg ermordet wurde, saß der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz mit dem Schah in der Oper. Wenige Monate später trat er zurück, weil bei einer Untersuchung "Fehler der Polizei und des Senats" offenbar geworden waren. In den 80er Jahren traf ich Albertz bei der Frankfurter Buchmesse. Er hatte sich immer noch nicht verziehen, dass er auf  "Lügen der Polizeiführung" hereingefallen war. Vieles war ihm seinerzeit immer noch schleierhaft, dass am 2. Juni 1967 ein Student gestorben war, hatte er sich selbst immer noch nicht verziehen.

Die Vertuschung hat funktioniert, bis sich herausstellte, dass Karl-Heinz Kurras für die Stasi gearbeitet hatte? Da konnte man endlich den Schleier lüften? Warum kam man diesem "typischen deutschen Untertanen" nicht früher auf die Schliche? Hinweise gab es doch genug, die Aussagen von Kurras waren widersprüchlich. In einer Reportage, die eher zufällig entstanden war, wurde dokumentiert, wie die Polizei die Eskalation zwischen Anti- und Pro-Schah-Demonstranten organisierte. Damit hatte die Stasi doch gar nichts zu tun.

Der Mord in Berlin ist also längst noch nicht aufgeklärt...