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Sonntag, 1. Juni 2008

Bild dir deine Meinung?

Böser Wolf plant Buch über Rotkäppchen

Die sieben Geißlein halten sich den Bauch vor Lachen: Der böse Wolf plant ein Buch über Rotkäppchen. Nur aus Versehen habe er das hübsche Mädchen in Angst und Schrecken versetzt, auch gegen die Großmutter habe er nie etwas gehabt, Kuchen und Wein seien ihm im Übrigen das Leckerste auf dem Tisch. Die Geißlein können es nicht fassen: Wieder hat der böse Wolf Kreide gefressen und glaubt an den Erfolg seiner verstellten Stimme.

Und nun erzähle ich euch ein anderes Märchen. "Bild am Sonntag" (BamS) gibt sich lammfromm und gerät am 26. August 2007 geradezu ins Schwärmen: "Die Welt war so schön, man wollte sie umarmen, genauso wie alle Menschen darin, denen man wortlos mit dem Peace-Zeichen seine Gesinnung zeigte."

Zum Fressen gern?

"BamS"-Redakteure haben im Jahre 1968 das Peace-Zeichen gezeigt? Hatten die aufmüpfige junge Generation ganz nebenbei aber auch zum Fressen gern? Umarmt wurden alle Menschen? Der auch? 30. Januar 1968: Der Polizeichef von Saigon erschießt einen gefangenen Vietcong-Offizier. Und der? 11. April 1968: Der Studentenführer Rudi Dutschke wird von dem Anstreicher Josef Bachmann schwer verletzt. Der gehört auch dazu? 14. Mai 1968: Das Frankfurter Schwurgericht verurteilt den Kaufhausbrandstifter Andreas Baader zu drei Jahren Zuchthaus. (So hießen die Gefängnisse damals noch.) Und auch das lässt die BamS im Uhrenkasten verschwinden? Die NPD zieht in die Landtage von Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ein.

Diese Zeilen aus der "Bochumer Studentenzeitung" vom 15. April 1968 hat der böse Wolf sicherlich in seinem Archiv: "Am vergangenen Donnerstag um 16.30 Uhr wurde Rudi Dutschke beim Verlassen des SDS-Zentrums auf dem Ku-Damm in Berlin durch drei Pistolenschüsse lebensgefährlich verletzt. Die Schüsse waren in Brust, Gehirn und Gesicht eingedrungen. Nach mehrstündiger Operation meinten die Ärzte, es würde sich erst nach mehreren Tagen herausstellen, welche Schäden der Hirn-
steckschuß verursacht habe. Der Täter hatte sich nach kurzer Flucht in einem Keller versteckt und wurde nach einem einstündigen Feuergefecht mit der Polizei verletzt. Über seine Person sind bisher Name und Alter bekannt: Josef Bachmann, 23.

Gleich nach Bekanntwerden des Attentats fanden sich in Berlin, Frankfurt, Essen, Bonn, München und Bochum die Studenten zu spontanen Demonstrationen zusammen. Heute demonstrieren französische Studenten vor der deutschen Botschaft in Paris.

In Bochum hatten sich am Donnerstagabend um 23 Uhr rund 200 Demonstranten vor dem Bahnhofsgebäude versammelt. In Berlin zogen etwa 3000 Menschen nach einer Versammlung in der Technischen Universität zum Springer-Hochhaus. Sie drückten im Erdgeschoß Fensterscheiben ein und drangen ins Foyer des Springer-Hauses vor. Eine Garage wurde in Brand gesetzt. Die Polizei vertrieb die Demonstranten mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln. Zwei Studenten wurden krankenhausreif gefahren, als ein BILD-LKW in die Demonstranten fuhr.

"Springer hat mitgeschossen"

Unterdessen vollzog sich ein makabres politisches Schauspiel: Kiesinger sandte ein Telegramm an Dutschkes Frau und Bürgermeister Neubauer, Urlaubsvertreter von Klaus Schütz, eilte ins Kankenhaus, um sich nach dem Befinden des schwer verletzten Dutschke zu erkundigen. Hatten die Schuldigen ein schlechtes Gewissen, daß sie so schnell reagierten? Diejenigen, die seit Monaten eine systematische Hetze gegen politische Minderheften betreiben, sind heute erschrocken, weil alle Welt weiß, daß ihnen die Pogromstimmung in Berlin zu verdanken ist.

Nach einer friedlichen Vietnam-Demonstration, an der etwa 14000 Menschen teilgenommen hatten, zettelte der Berliner Senat eine Gegendemonstration an. In dieser vom Senat bestellten Kundgebung kam die ganze Hysterie der Berliner Politik zum Ausbruch. Der Regierende Bürgermeister hetzte in seiner Rede auf dem Kennedyplatz die Massen gegen die Studenten auf."

Das hörte der böse Wolf nach dem Attentat gar nicht gern: "Springer hat mitgeschossen."

Um den Verstand gekifft?

Das hätten sie wohl gern: Die so genannten 68er haben sich seinerzeit nach Demonstrationen um den Verstand gekifft und lallen jetzt: "Wird bestimmt ein feines Buch. Wir machen mit." Erscheinen soll das BamS-Werk im Militzke-Verlag. Dieser Leipziger Verlag hat schon Einiges über Zeitgeschichtliches im Programm. Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2007, Zuschriften sind zu richten an Bild am Sonntag. Berichtet werden soll in Bild und Text über eine Generation, die laut Springer-Blatt von den Medien geliebt und von alten Leuten gehasst worden ist.

Dann haben vor 39 Jahren in den Redaktionen der Springer-Blätter nur alte Leute gearbeitet...Die neue Springer-Mannschaft dagegen ist seit dem 26. August 2007 ganz anders? Gegen Ausbeutung, Hartz IV, Kinderarmut und Unterdrückung, für Love and Peace? Und verteilt per Buch Blumen an die Flowerpower-Generation?

"Uns geht es doch nur um die Musik, die damals gern gehört wurde", könnten sie nun Bedenken abwimmeln, denn der Titel des Buches soll "Die 68er und die Musik" lauten. Doch die war in jenem Jahr Bestandteil der Protestkultur, eine Trennung von Politik und Musik ist also kaum möglich.

Die sieben Geißlein halten sich den Bauch vor Lachen auch bei diesen BamS-Satzen, mit denen der böse Wolf am 26. August 2007 enthüllt, wogegen er 1968 gekämpft hat: "Aber manchmal kommt es wieder durch, das alte Gefühl von Peace und Love, die vertraute Sehnsucht nach dem Verständnis, der Toleranz...Milliarden Menschen in aller Welt sahen kürzlich das Live-Earth-Konzert, das größte Benefiz-Spektakel aller Zeiten, das es ohne die 68-er Generation und die Entdeckung des sozialen Engagements als Lebensform nicht gäbe."

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