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Donnerstag, 26. Mai 2011

Anti-Atom 2011

26. Mai 2011
Wir hatten eine strahlende Zukunft

Hannover, Ostermarsch 1983: Ich stehe als erster Redner auf der Bühne, die Menschenmassen strömen aus drei Richtungen auf den Maschsee zu. 40 000 hören meine fiktive Reportage "Frieden ist der Ernstfall", immer wieder brandet Beifall auf, weil den 40 000 der Gedanke gefällt, dass die Bundesrepublik Deutschland und die DDR bis 1990 (!) das Kriegsbeil begraben wollen.


Meine Reportage endet mit einem Auszug aus einer Rede des ehemaligen Verteidigungsministers Hans Apel aus dem Jahre 1981: "Es gibt gegenwärtig mindestens eine halbe Milliarde Menschen, die im Wortsinn hungern. Zugleich werden in dieser Welt jährlich mindestens 500 Milliarden Dollar...für Rüstung ausgegeben. Das ist Wahnsinn. Und der Wahnsinn steigert sich noch mehr, wenn man bedenkt, dass schon heute 20 000 Nuklearsprengköpfe exisitieren, von denen jeder die vielfache Sprengkraft der Atombombe von Hiroshima besitzt..."

Damals haben wir noch täglich Angst gehabt vor dem atomaren Knall. Wir diskutierten über die Erziehung von Kindern, die wir nicht in diese Welt setzen wollten. Weil wir unseren Kindern unsere Angst nicht zumuten wollten.

Die politischen Wellen schlugen hoch in jenen Jahren. Bauern am Kaiserstuhl wollten keinen Atommeiler, sie bauten ein Hüttendorf. Dann wurde Brokdorf an der Unterelbe zum Symbol für Anti-Atom. Der Bauplatz für den Atommeiler wurde bereits am 26. Oktober 1976 vor der Erteilung der ersten Baugenehmigung abgesperrt. Dennoch besetzten am 30. Oktober 1976 10 000 Demonstranten den Bauplatz.

Millionen gingen damals auf die Straße, wir wollten diese Technologie nicht, weil wir sie für nicht beherrschbar hielten. Man lachte uns aus, verleumdete uns, ließ uns beobachten. Wie wir ausgelacht wurden für das Motto "Jute statt Plastik". Da aber unsere Frauen schöne Brüste hatten, dachten wir auch nicht an Silikon. Wir wollten nichts Künstliches, nichts, was Mutter Natur wütend machen musste. Wir waren auch so schon die Generation, vor der uns unsere Eltern immer gewarnt hatten.

Kam uns jemand krumm, dachten wir uns spontane Sprüche aus. Emanzen versicherten wir, dass wir gar nichts gegen Frauenbewegungen hätten. Nur schön rhythmisch müssten die sein. Doch die andere Seite hatte keinen Humor. Und einige hatten Knüppel und Wasserwerfer. Die Hüter des Gesetzes brachen Gesetze. Kamen daher als Politiker, die sich nicht an Vorschriften hielten. Die Polizeibeamte nach vorn schickten, damit sie ihre Deckung nicht verlassen mussten.

1979 hatten sie locker weggesteckt. Harrisburg war weit weg. Atomstrom galt weiter als sauber. Zumindest in Deutschland. Radioaktivität kannte dem Vernehmen nach Grenzen. Und wir vernahmen seltsame Meldungen der Medien. Nach einer Demonstration mit 40 000 Menschen erfuhren wir: Demonstriert hatten 20 000. In den Abendnachrichten waren es noch 13 000. So ließen sie uns verschwinden. Wir störten doch nur. Auch die Grünen, die inzwischen parlamentarisch geworden waren, wollten nicht mehr täglich an ihren Ursprung erinnert werden. Sie erfanden Rituale. Das bekannteste Ritual sind ab 1995 Demonstrationen gegen Castor-Transporte nach Gorleben geworden...


Dann kam die Radioaktivität doch. 1986 aus Tschernobyl. Doch die deutschen Atomkraftwerke waren sicherer denn je. Darüber sollten wir uns keine Sorgen machen - und das Gemüse aus dem Garten zweimal waschen, war nun wirklich nicht zu viel verlangt. Oder hatten wir schon wieder etwas zu meckern?

Während sie handelten - und die Stiftung für Kinder aus Tschernobyl aus dem Boden stampften. Für die war in Niedersachsen eine Zeitlang Hiltrud Schröder zuständig. Sie hielt eindringliche Vorträge, schilderte ohne Rührseligkeit, was sie bei ihren Reisen gesehen hatte. Was nicht mehr zu ändern war, war nun nicht mehr zu ändern. Für wahrscheinlich noch 150 Jahre oder mehr.

Vielleicht suchen sie in Deutschland auch so lange nach einem Endlager für Atommüll. Oder lagern das Zeug wirklich überirdisch, bis aus Atommüll eine neue Energiequelle wird. Was stark strahlt, muss nur mit Neutronen beschossen werden.

Aber: Manche Atomkraftwerke sind einfach nicht geduldig genug. Die warten nicht, bis man den Müll wegbringen und unschädlich machen kann. Die fliegen ungefragt in die Luft.

Und schon ist heiße Luft, was eine Bundesregierung beschlossen hat. Nach Japan, sagen sie, kann man nicht einfach wieder zur Tagesordnung zurückkehren. Das Argument, wenn andere Atomkraftwerke haben, müssen wir auch welche haben, soll nun doch schneller zu den Akten gelegt werden als noch vor wenigen Monaten gedacht.

Dafür gehen wieder Menschen auf die Straße. Es sind längst nicht mehr so viele wie damals. Denn: Plötzlich sind alle grün. Sie übertreffen sich nur noch bei ihren Zeitplänen. Sofort aussteigen. In sechs bis sieben Jahren aussteigen. Bis 2022 aussteigen.

Wie schnell sie die Geister, die sie gerufen haben, wieder los werden? Sofort ganz sicher nicht. Aber immerhin: Willy Brandt ist vor 50 Jahren noch ausgelacht worden, als er sagte, der Himmel über Rhein und Ruhr müsse wieder blau werden. Heute lacht niemand mehr.

Gestern sagte ein Jugendrichter bei einer Fernsehdiskussion: "Ich bin mit ´Petting statt Pershing´ aufgewachsen." Da ahnten wir noch nicht: Wir hatten fürwahr eine strahlende Zukunft...